Seit ein paar Jahren wohne ich nun im 20. Bezirk in Wien. Wie ich vielleicht schon erwähnt habe, bin ich schon sehr oft umgezogen und habe so schon fast jeden Bezirk besser kennengelernt.
Den 20.Bezirk kannte ich vorher so gut wie gar nicht. Heute sehe ich ihn als das kleinere Geschwisterl vom 2. Bezirk – über den ich ja hier geschrieben habe. Der Zwanzigste liegt mit seiner Entwicklung ein bisschen zurück. Ist jünger, was die Gentrifizierung betrifft. (Gentrifizierung: Der Vorgang der Aufwertung eines Stadtteiles, der (oft) mit Miet- und Kaufpreis Erhöhungen und Verdrängung der alteingesessenen Bevölkerung einhergeht.) Die hippen Läden und Manufakturen haben sich noch nicht ausgebreitet. Um ehrlich zu sein, man findet jenseits des Nordwestbahnhofes nicht mal ein gutes Café (bin für Tipps sehr dankbar). Trotzdem – die Nähe zum Zweiten beeinflusst diesen Bezirk. Es ziehen immer mehr Akademiker hierher und mischen sich unter die Arbeiter und Gastarbeiter-Bevölkerung. Man findet zahlreiche türkische* Frisöre, türkische* Läden, wo das Gemüse in metallerne Gestelle auf den Gehsteig gestellt wird und die auch am Wochenende offen haben. Türkische* Bäckereien, die Weißbrot, mit Sesam bestreutes Fladenbrot und türkische*, in Zucker getränkte Süßigkeiten anbieten – Baklava and the sorts. Ich habe es nicht weit zur Donau – was im Sommer extrem praktisch ist, zwecks baden gehen – ärgere mich aber über den Müll, den man mehr als in anderen Bezirken auf Grünflächen, in Baumscheiben und am Gehsteigrand liegen sieht.
Die Schichten meiner Erinnerungen legen sich langsam über diesen Bezirk. Straßenzüge und Parks werden mit Begebenheiten und Menschen verbunden, die in mein Leben getreten sind. Die Nachbarin, die ich beim „Gassi gehen“ ( = Hund ausführen) – sie mit ihrem, ich mit meinem Hund – kennen gelernt habe und die eine meine liebsten Freundinnen geworden ist. Menschen, die mich hier besucht haben und ihre Eindrücke hinterlassen haben, ihre Spuren in meinem Leben. Von hier habe ich meine erste Langstrecken-Fahrradreise angetreten über die ich hier schrieb.
Es gibt einen – naja – nennen wir ihn „Park“. Es ist das Nordbahngelände. Das Areal war, wie der Name schon sagt, ein Bahnhofsgelände. Ein Gewerbebahnhof. Dieses wird schon seit einigen Jahren bebaut. Ein ganzes Stadtviertel entsteht hier. Die Gegend ist überwuchert – die Natur hat sich in all den Jahren der Brache ihr Territorium zurück erobert. Erde hat sich auf Betonplatten und Betonblöcke gelegt. Darauf sind Samen gekeimt und Bäume gewachsen. Diese haben mit ihren Wurzeln den entstehenden Boden stabilisiert und haben dazu beigetragen, dass neuer Boden entsteht, indem sie Jahr für Jahr ihr Laub darauf gelegt haben. Dazwischen wurde immer wieder Müll abgelagert, wieder entfernt… Schilder wurden aufgestellt, sie brachten nicht viel.
Man findet hier alte Maschendrahtzäune, die später irgendwo aufgeschnitten und aufgebogen wurden. Alte, aufgelassene Tennisplätze, man erkennt sie an dem rötlichen Sand und Resten einer Netzbefestigung. Es gab einmal einen Skaterpark, den sich die Skater selbst finanziert und gebaut haben. Auch er musste geräumt und entfernt werden, da hier einmal Wohnblöcke oder zumindest Straßen und Plätze hinkommen sollen. So viel Geschichte auf einem Platz. Aber es gibt nicht mehr viele Orte in Wien, wo sie noch so sehr ablesbar ist an den stummen Zeugen, die das Gelände immer noch bevölkern.
Seitdem ich hierher gezogen bin, sehe ich, wie sich die Gegend hier verändert. Bauzäune werden aufgestellt und nehmen der Natur wieder weg, was sie sich in der Zwischenzeit angeeignet hatte. Der Feldhase, den ich hier manchmal sehe: Wo kommt er her, wie findet er seinen Weg hier hin? Und wo geht er hin, nachdem ihn Spaziergänger, wie ich, mit ihren Hunden vertreiben?
Menschen, die ich hier treffe, hoffen, dass alles so bleibt, wie es war. Menschen möchten immer, dass alles so bleibt. Aber nie bleibt etwas lange so, wie es war. Alles verändert sich ständig. Sie trauern der vertriebenen Natur nach. Außerdem haben so viele schon dieses „vergessene“ Areal entdeckt, dass auch das seine Spuren hinterlässt. Besonders in Form von Müll. Offensichtlich trinken all diese Menschen sehr gerne Energy-Drinks…
Diese Gegend hat zwar einen Namen – Nordbahngelände – aber ein Freund und ich haben ihr einen eigenen gegeben. Einen, der markanter ist: Parcul românesc (Der rumänsiche Park). Weil es hier eben so aussieht, wie es aussieht. So, als ob sich niemand zuständig fühlen würde. So ist es in Rumänien auch oft. Der Vorschlag kam von ihm – und er ist Rumäne.
Wie lange ich hier noch bleibe? Meine durchschnittliche Verweildauer an einem Wohnort war über die letzten 16 Jahre ziemlich konstant zwei bis drei Jahre. Werde ich es hier länger aushalten? Only time will show.
*Anmerkung: Ob diese Geschäfte wirklich von türkisch-stämmigen Menschen geführt werden, kann ich nicht wirklich beurteilen und möchte auch ungern alle in einen Topf werfen. Ich beziehe mich mehr auf einen gewissen Stil, als wirklich auf die Abstammung der Lokalbesitzer, die auch für mich nicht so sehr von Wichtigkeit ist. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt (obwohl für mich selbstverständlich): Die Lokalbesitzer sind genauso „richtige Österreicher“ wie ich oder sonstwer. Ich bewundere sie für ihren Unternehmergeist, by the way.