“Selfdevelopment” – Selbstentwicklung ist ein großes Wort, das überall im Internet und auch auf den Buchdeckeln der Bestseller herumschwirrt. Es scheint, als ob ein großer Teil der Welt damit beschäftigt ist, an sich selbst zu “arbeiten”, sich zu entwickeln, sich zu verbessern… Was bedeutet das eigentlich?
Auch ich habe in den letzten paar Jahren, besonders seit der Corona-Krise genau das gemacht – ohne es auszurufen oder es anzukündigen, ohne es direkt so auszusprechen – ohne mir vielleicht für lange Zeit dessen bewusst zu sein. Manche Menschen rund um mich haben es bewusst wahrgenommen, manche eher unbewusst, dass sich etwas an mir geändert hat. Erst einmal bin ich von meiner gewohnten Lebensumgebung weggezogen – nach Rumänien. Damit habe ich mir gleichzeitig auch etwas verwirklicht, das lange in meinem Kopf herumgeschwirrt ist, besonders die Renovierung der Wohnung in Baia Mare war mir ein großes Anliegen, und dass ich das geschafft habe, hat mir einerseits viel Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen gegeben, andererseits habe ich dabei auch viel gelernt.
Darauf ist eine Zeit gefolgt, in der alles sehr undefiniert war: Was mache ich hier in Rumänien, welche Ziele verfolge ich, warum bleibe ich hier, was “suche” ich hier? Ganz genau konnte ich auf diese Fragen selbst nicht antworten, zumindest nicht aus meinem aktiven Bewusstsein heraus, aus meinem rationalen Denken gab es nicht viele Antworten. Doch ich weiß, dass es einen Grund hat, dass ich hier bin, ich weiß, dass ich einem inneren Ruf folge, ich weiß, dass es Gründe gibt, die jenseits meines Denkens liegen.
Dadurch, dass mir aber vieles nicht bewusst klar war, lebte ich in einem sehr unsicheren Zustand. Es fiel mir schwer, mich selbst vor mir und vor allem auch vor anderen zu definieren. Es ist uns die meiste Zeit gar nicht bewusst, wie sehr wir uns eigentlich über unseren Beruf und unsere Lohnarbeit definieren. Fragen wie “Was machst du? Wovon lebst du?” usw. führen viele Kennenlerngespräche an. Auch im Austausch mit Banken, Versicherungen und staatlichen Institutionen ist das eines der zentralen Fragen. Es ist eigenartig, darauf keine kurze, prägnante Antwort geben zu können.
Ja, ich arbeite am Aufbau meiner eigenen Firma – aber ob das “nur” Architektur sein wird, das weiß ich selbst nicht.
In der “Entwicklung meines Selbst”, die ich in den letzten Jahren betrieben habe, sind so einige Dinge zum Vorschein gekommen. Und damit wären wir beim Thema. Was ist das überhaupt? Ich werde diese Frage aus meiner eigenen Perspektive, meiner eigenen Auffassung, die aus meiner Erfahrung und Wahrnehmung der Welt schöpft, beantworten.
Wenn man beobachtet, wie sich Kinder entwickeln, dann ist das vor allem durch Versuch und Irrtum, spielerisch, unaufhörlich und ohne bestimmtes Ziel. Ein Kind nimmt sich nicht vor, sich zu entwickeln, es tut es einfach. Sobald es anfängt die Schule zu besuchen, wird dieser Entwicklung jedoch ein bestimmter Rhythmus und eine Geschwindigkeit, sowie eine Richtung vorgegeben. Wann es lesen und rechnen lernt, wann es diesen Prozess abgeschlossen haben muss, diverse Schwierigkeitsgrade. Das ist alles soweit nicht unbedingt zu kritisieren (wobei man das jedoch in einem gewissen Ausmaß durchaus kritisieren könnte, doch das ist nicht mein Punkt heute), doch es ist festzustellen, dass wir uns an diese Art der Entwicklung gewöhnen. Unsere persönliche Entwicklung wird langsam institutionalisiert. Wir brauchen Lehrgänge, Noten und Urkunden, um unsere Entwicklung festzuhalten. Später im Berufsleben entwickeln wir uns auch kontinuierlich weiter, doch in einer ziemlich eng gefassten Domäne – durch unseren Beruf eingefasst. Dieser Prozess wird so stark verinnerlicht, dass es später die einzige Art ist, wie wir funktionieren. Wir brauchen ständig diese Art von Feedback, diese Bestätigung, dass wir etwas “Produktives” machen. Wir müssen unsere Aktivität ständig messen, quantifizieren und qualifizieren.
Wie wäre es, aus diesen Rahmen ausbrechen zu können? Zumindest für eine gewisse Zeit? Wie wäre es, einfach die Dinge zu tun, die einen bereichern und glücklich machen? – Was SIND diese Dinge überhaupt? Hier fängt es an – sich dieser Dinge erst einmal wieder bewusst zu werden. Das ist in Wirklichkeit vielleicht gar nicht so einfach. Es braucht nämlich Zeit und Versuch und Irrtum, um Dinge auszuprobieren, sehen wie sie sich anfühlen und ob und wie man sie weiter betreiben will.
Ich hatte den starken Drang verspürt, etwas an diesem vorgegebenen Rhythmus des Alltags zu ändern. Ich spürte eine immer größer werdende Unzufriedenheit – doch ich konnte es nicht definieren, warum. Ich musste etwas ändern, und auch wenn ich nicht genau wusste, was mein “Problem” war, ich änderte einfach ETWAS, irgendetwas. Meinen Wohnsitz, meinen Alltag, wie ich die Zeit jeden Tag verbringe.
Zurückblickend, aber auch aus der damaligen Sicht zu einem gewissen Grad, war es wie ein Sprung von der Klippe, ein Sprung ins Ungewisse, ein Sprung mit zusammengebissenen Zähnen und mein eigenes Herz fest haltend, dass es irgendwie gut ausgehen wird. Wie in den Zeichentricken von “Looney Toons”, wo die Figur, die über die Klippe läuft, irgendwie, durch ein Wunder, auf etwas landet, von etwas aufgefangen wird, in ein Wasser fällt, auf jeden Fall irgendwie gerettet wird.
Und nun – ich schwebe noch immer. Ich lerne vieles neu: das Selbstvertrauen in mich und eine Art höherer Macht, die mich nicht vollkommen abstürzen lässt. Das Vertrauen darin, dass ich mich auch selbst retten kann. Das Vertrauen darin, dass man auch in Sicherheit sein kann, wenn man nicht in den von der Gesellschaft vorgegebenen Strukturen agiert.
Ich darf wieder durch Versuch und Irrtum lernen, spielerisch, ohne bestimmtes Ziel. Ich darf mich ausprobieren, feststellen, was mir Spaß macht. Ich darf mir meine Aktivität wieder selbst vorgeben, so wie damals, vor der Schulzeit. Zeichnen, Malen, Schreiben, Lesen und Erzählen.
Wie kann man aus eigenem Antrieb heraus, einfach seinen Impulsen und Vorlieben folgend, der Gesellschaft, den Menschen um sich herum UND sich selbst dienlich sein? Das ist nicht nur eine Frage, das ist das Resultat eines Lebens, wo man selbst Kapitän ist, das Ruder selbst in der Hand hat, in die dunklen Wolken blickt, die Zähne zusammenbeißt und auf die Hilfe Gottes hofft, jedoch selbst steuert. Ich habe irgendwann – vielleicht vor langer Zeit unbewusst – beschlossen, dass ich so leben will – als Kapitän meines Lebens.
Johnny Depp sagte vor kurzem in einer Pressekonferenz in Cannes (2023) folgendes:
It’s a very strange, funny time, where everybody would love to be able to be themselves, but they CAN’T, because they MUST fall in line with the person in front of them. You wanna live that kind of life, I wish you the best. I’ll be on the other side somewhere.
Es ist eine sehr eigenartige, komische Zeit, wo alle liebend gern fähig sein würden, sie sebst zu sein, aber sie können es nicht, weil sie unbedingt in einer Linie sein müssen, mit der Person vor ihnen. Wenn du diese Art, von Leben führen willst, wünsche ich dir alles Gute. Ich werde irgendwo auf der anderen Seite sein. (Übersetzung durch mich)
Diesem Satz kann ich mich nur anschließen. For better or worse.