Bukarest

Der Zauber Bukarestes erschließt sich mir langsam, während ich durch jene Gasssen spaziere, die nicht an eine Großstadt erinnern, sondern eher an einen Vorort, manchmal fast an ein Dorf. Jedoch an eines aus einem anderen Jahrhundert. Hinter Eisengittern und Toren verstecken sich grüne Gärten, Häuser mit Jugendstil-Vordächern, deren Fassaden unter der Last der Zeit zerfallen, die durch wuchernde, rankende Schlingpflanzen zusammengehalten werden, aber immer noch dem völligen Verfall zu trotzen scheinen. Durch die schmalen Straßen fahren viel seltener die Autos, als auf den lauten Boulevards; es ist leiser, man hört eher das Bellen der Hunde oder die Stimmen diskutierender Männer und Frauen, als lauten Autoverkehr. Man kann die schmalen Gehsteige getrost ignorieren und mitten auf der Fahrbahn gehen und man wird dennoch nicht von hupenden Autos aufgeschreckt. Es hängen zusammengerollte Kabel von hölzernen Masten – ich muss unwillkürlich an Indien denken und schmunzele angesichts dieser Verschmelzung von Orient und Okzident, die sich in diesen Nebensächlichkeiten manifestiert.

Bei Nacht ist Bukarest noch schöner. Es nimmt dann fast eine mystische Anmutung an, unter dem orangen Schein der Straßenlaternen verwandelt es sich tatsächlich in so etwas, wie ein kleines Paris. Die hängenden Kabel verschwinden im Dunkel der Nacht, aus einzelnen Fenstern tritt Licht, das Schatten durch steinerne Balkonsäulen wirft; gelegentlich hört man Partygeräusche – Lachen, Gespräche und Musik – aus den bei sommerlichen Temperaturen geöffneten Fenstern.
Die diversen Bars und Cafés haben ihre Tische hinaus gestellt. Sie sind dicht bevölkert von schönen Menschen, die meisten sind noch jung, oder jedenfalls nicht jenseits der 40. Vor allem die rumänischen Frauen achten sehr auf ihr Äußeres, und auch die Männer legen Wert auf Prestige. Teure, gut sitzende Kleidung ist ein Muss. Risse dürfen nur „ab Werk“ vorhanden sein und an den richtigen Stellen klaffen. Ein sexy Knie oder eine Pobacke entblößen. Das Makeup sitzt perfekt.

Es wird in manchen Bars aus Schraub- bzw. Einmachgläsern getrunken. Eine anständige „Hipster“-Bar erkennt man an den Gläsern. Und wir befinden uns in einem der hipsterigsten aller Hipster-Vierteln, unweit der Universität. Die Bukarester nehmen das Hipstertum ernst. Wie gesagt, hier muss alles sitzen. Angesagte Kleidung; die Mode entspricht den neusten Trends. Ärmel, Hosenbeine, Socken in der richtigen Länge; Richtiges muss an den richtigen Stellen hervorblitzen. Man hat es oder man hat es nicht. Ich erkenne diese Dinge, wenn ich sie sehe, ein Talent es nachzuahmen, besitze ich nicht und auch nicht den Anspruch.

In einem Straßenzug mit mehreren Lokalen, deren Tische sich am Gehsteig aneinander reihen, suchen meine Begleitung und ich einen freien Platz. Wir finden einen unter einer Straßenlaterne, vor einer minimalistisch eingerichteten Bar. Holzböden, pure Materialien, Glühbirnen an Kabeln, die guten, alten Industrielampen – alle Zeichen für eine Hipsterbar sind gegeben. Man kann es lieben und hassen zugleich. Wir nehmen Platz. Am Tisch neben uns reden zwei Frauen angeregt. Ich muss mich immer wieder zusammenreißen um nicht in ihre Konversation absorbiert zu werden, sondern mich auf meine eigene zu konzentrieren. Es gibt keine Karte am Tisch und wir sind durstig. Meine Begleitung will an die Bar gehen, um das „Menu“ bzw. die Getränkekarte zu holen. Dieser Versuch geht leer aus. Nach einem kurzen Gespräch mit dem Barmann, kommt er mit leeren Händen zurück und berichtet, man wollte ihm keine geben, denn die Bedienung würde bald kommen. Wir wundern uns, aber – nun gut. Tatsächlich kommt die Bedienung, eine junge, hochmotivierte, gut gelaunte Frau in sehr kurzer Zeit, legt uns zwei artsy-craftsy Karton-Transparentpapier, in der Ecke genietete, Karten auf den Tisch und startet gleichzeitig einen langen Monolog. – Sie haben ein neues Konzept, die Abendkarte wiche von der Tageskarte ab, und man versuche eine ganzheitliche Erfahrung – etwas für alle Sinne – zu schaffen … sie redet und redet. Wir blättern in der Karte – und verstehen nichts. Das liegt nicht an der Sprache – wir sind beide des Rumänischen mächtig – sondern am sonderbaren Inhalt. Die junge Bedienung, hoch motiviert, fragt uns etwas. Meine Begleitung antwortet, „ich bin schon lange ausgestiegen“; ich muss lachen und sehe weiter gebannt in die Karte, versuche daraus schlau zu werden. Wir brauchen etwas Zeit. Irgendwann geht sie und lässt uns alleine mit der „Qual der Wahl“. Und eine Qual ist es in der Tat. Wir blättern und blättern, vor und zurück, versuchen die Schrift auf dem transparenten Papier zu entziffern, links oben stehen irgendwelche Mengenangaben in ml, wie es scheint. Der Rest ist halb Gedicht, halb Rezept. Man kann die Cocktails erahnen, aber es ist nichts Bekanntes da, woran man sich klammern kann. Irgendwann schaut meine Begleitung auf, sieht mich an, fast Mitleid erregend – „Glaubst du die haben auch Bier?“
Mein Lachen, das darauf folgt, ist langanhaltend und recht laut. Ich versuche mir die Tränen aus dem Gesicht zu wischen, bevor die Kellnerin kommt. Die Ironie, all diese Mühe, die Karte, der auswendig aufgesagte Text, das Angebot dieser ganzheitlichen Erfahrung – und er will Bier. „Ich wage es zu bezweifeln“. Und prompt kommt die Bedienung. Gerade noch kann ich etwas aus der nicht enden wollenden Karte aussuchen, eigentlich ist es mir schon fast egal, was sie bringt. Nach weiteren Fragen und Erklärungen, kann sich auch meine Begleitung zu „irgendwas mit Kaffe“ überreden lassen. (Wenn wir nun schon mal da sind.) Und auch merkt er an, dass der Trick mit dem Spruch durchaus kunden-bindend wirkt, da man sich geniert, danach alles liegen und stehen zu lassen und einfach abzuhauen.
Wir bekommen dann also unsere Cocktails. Meines ist in einer nachgeahmten Alu-Dose serviert, die selbstverständlich nicht wirklich eine Aludose ist, sondern nur so aussieht. Das Thema ist „Metall“. Etwas mit viel Ingwer (worauf ich durchaus hingewiesen wurde) auf sehr viel crushed ice mit einem Salbei-Büschchen am Rand dekoriert, und auch dem obligatorischen schwarzen Strohhalm. Ich probiere und … bin überrascht. Positiv überrascht. Zwar kosten die Cocktails wie zwei Hauptspeisen, aber gut … wie oft ist man schon in einer Hipster-Bar in Bukarest?

3 Kommentare bei „Bukarest“

  1. Ich hoffe, es war eine vegane „Alu-Dose“, ohne Rückstände für die Hipster-Gurgel.

  2. Liebe Marta,

    deine “Microtexte” habe ich mit Freude gelesen.
    Die Kurzberichte aus der Serie “Abenteuer Rumänien” sind malerisch und ausdrucksstark. Es ist dir gelungen, die Stimmung einzufangen.
    Alles Gute und weiterhin viel Erfolg!

    Minerva Kröll

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