Es geht uns so gut

In letzter Zeit diskutiere ich immer wieder mit Freunden, wie gut es uns eigentlich geht. Unabhängig voneinander, in unterschiedlichen Zusammenhängen und auf verschiedene Aspekte bezogen. Ja, ich meine das ernst, es geht uns wirklich gut.

Politik
Wenn Leute jammern, „so kann es nicht weitergehen“, sage ich, „so schlimm ist es nicht; verbesserungswürdig, ja – immer, aber keinesfalls katastrophal“. Wir haben hier in Österreich bzw. in Europa die unglaubliche Freiheit selbst zu wählen – Demokratie – ein rares gut. Wenn die Menschen über „die Politiker“ oder „den Staat“ jammern, vergessen sie dass sie selbst den Staat ausmachen und dass „die Politiker“ zu einem großen Teil Menschen wie du und ich sind. Ja, dass sie selbst zu so einem Politier werden könnten, wenn sie wollten. Stimmt, es gibt auch Politiker aus den „oberen Schichten“, reichen Familien mit viel Einfluss, doch viele, wenn nicht die allermeisten, haben sich einfach so vom „Niemand“ zu einem jener Politiker „hochgearbeitet“, die man umgangssprachlich in den Topf „die Politiker“ schmeißt, der also zum Kreis jener gehört, die jeder „Schlaumeier“ am Stammtisch meint kritisieren und niedermachen zu können. Auch wenn mir selbst viele Politiker höchst unsympathisch sind, deren Handlungen ich missbillige und kritisiere, ist mir doch bewusst, dass diese, ihre Entscheidungen im Prinzip so sind, weil sie zum Großteil von der Bevölkerung getragen werden. Man braucht sich nur Foren unter Artikel großer Tageszeitungen durchzulesen, von Facebook-Beiträgen gar nicht zu reden, um festzustellen, dass die Meinungen in vielen wichtigen Fragen, dermaßen auseinander gehen, wie sie die Politik tagtäglich auch vorführt. Sie widerspiegelt also nur die Bevölkerung. Nein, die Politiker sind nicht an allem Schuld, sie sind unser Spiegelbild, die Gesamtgesellschaft auf eine kleinere Nummer herunter gebrochen – im Prinzip glaube ich an die Demokratie. Wenn also Kritik, dann muss sich jeder selbst an der Nase nehmen, beim argumentieren bei seinem „Nächsten“ anfangen und so Stück für Stück daran arbeiten, dass wir als Gesellschaft in eine positive Richtung gehen. Hin zu mehr Verständnis und Toleranz, hin zu mehr Rücksichtnahme und im Endeffekt Frieden.

Aber ich schweife ab. Wir haben es gut, eine gut funktionierende Demokratie zu haben. Gut, im Sinne von, verglichen mit dem Rest der Welt. Man kann vieles verbessern, ja. Aber dafür sind wir alle gemeinsam verantwortlich. Und wir haben die Möglichkeit, es zu tun.

Bildung
Wir können einfach so studieren, uns weiterbilden. Die Hürden hier in Österreich sind im Vergleich zu den meisten anderen Ländern der Welt extrem niedrig. Wenig Zugangsbeschränkungen, niedrige oder gar keine Studiengebühren. Man kann so lange und so oft studieren, wie man will. Was ist das, wenn nicht absoluter Luxus?

Büchereien. Ich liebe Büchereien! Für nur 3 € jährlich (!) im Studententarif, kann man sich in den Büchereinen Wien als Benutzer einschreiben und bis zu 20 (!) Bücher gleichzeitig mitnehmen. Es gibt außerdem ein unüberschaubar großes Angebot an Film- und Musik-DVDs, Arbeitsplätze mit Computer etc. etc. Fast nichts, was man nicht in den Wiener Büchereinen findet. Der Mitgliedsbeitrag für „Normalos“ kostet übrigens ca. 20 € im Jahr. Ich habe noch nie gezögert meine Mitgliedschaft zu verlängern… Was ist das, wenn nicht Luxus? Zugang zu so viel Wissen, so viel Kultur, so vielen Erfahrungen?

Es gibt ein unglaublich großes Kulturangebot, vieles davon für wenig Geld oder gratis und leicht zugänglich: Musikfestivals, Openair Kinos, Kunstfestivals, eine riesige Fülle. Wenn man, vor allem im Sommer, durch Wien geht, gibt es fast keinen Tag, an dem nicht etwas Stattfindet. Gestern geriet ich, zum Beispiel rein zufällig in ein Streetart Festival (am Karlsplatz), wo unglaublich gute Musiker einfach so, in einem Kreis von Zuschauern, am offenen Platz aufgetreten sind. Die Stimmung war großartig, die Musik ausgezeichnet. Alles frei zugänglich, keine Karten, kein Platzbeschränkung. Eigene Getränke mitbringen, erlaubt.

Regelmäßig gibt es in Wien gratis Eintritte in diverse Museen, ob bei der langen Nacht der Museen, oder verschiedenen Aktionen.
Ja, aber wo kommt die Kohle, die Knete her?
Im „Normalfall“ geht man einer Erwerbsarbeit nach – was auch gut ist. Mit der kleinen Einschränkung, dass man dann nicht ganz so viel Freizeit hat, all die tollen Angebote zu nutzen, die unsere österreichischen Städte und Gemeinden zu bieten haben. Aber selbst da haben wir es verdammt gut – weil die meisten von uns sich ihr Leben gut leisten können und ein gemütliches Leben haben (oder haben könnten, wenn sie nicht den dauernden Verlockungen des Konsums anheim fallen würden).
Habe ich schon erwähnt, dass ich gerade ein halbes Jahr Geld bekomme dafür, machen zu können, was ich will? Ganz legal. Ohne Tricks. Das gibt es vom Staat. (Und ja, ich bin der Meinung, dass man das in Anspruch nehmen sollte, nicht zuletzt weil ich sicher bin, das Geld das ich gerade heraus bekomme, locker selbst eingezahlt zu haben in meinen Arbeitsjahren.) In meinem Fall heißt es „Freistellung bei Entfall der Bezüge“, doch es gibt auch andere Förderungen, je nachdem, was man macht.

Und selbst, wenn man gerade arbeitslos ist, oder Mindestsicherung bekommen muss weil man sonst nichts hat. Das Auffangnetz ist gut genug, auch da für die meisten zu sorgen. Das ist schon bemerkenswert. Leider gibt es noch immer Menschen, die durch alle Maschen fallen. Da sollten wir unbedingt noch mehr daran arbeiten, auch diese aufzufangen.

Und es gibt noch so viel mehr Gutes, das ich jetzt nicht erwähnen konnte.

Ich bekenne mich dazu: Ich finde Österreich toll, ich liebe Wien.

Ein guter Freund von mir sagte letztens: „Wasser und Fahrradfahren, mehr will ich nicht.“ Er meinte das gute Wiener Leitungswasser, das aus den Bergen kommt (Hochquellwasserleitung) und ausgezeichnet schmeckt sowie die immer besser ausgebauten Wiener Fahrradwege, die er seiner derzeitigen Wahlheimat Bukarest, sehr vermisst. Doch stellvertretend meinte er, und das erwähnt er immer wieder, all das, was in Wien (oder woanders in Österreich) „selbstverständlich“ ist. All das, was unerwähnt bleibt, weil es normal ist, weil wir viel zu selten darüber nachdenken, wie toll es ist, diese Privilegien zu haben.

Wie eine Freundin von mir sagte: Wir haben den verdammten Lotto-Sechser in der Zeit und Länder-Lotterie gezogen.
So ist es. Erinnert euch daran. Täglich!

Amen.

 

Anm.: Bild aufgenommen am Buskers Festival am Karlsplatz, Auftritt von “The Trouble Notes”, eine hervorragende Band. Der Geiger spielt auf einer E-Geige mit 5(!) Saiten.

2 Kommentare bei „Es geht uns so gut“

  1. Hi Marta,
    Ja du hast recht: das Glas ist halb VOLL mit guten Hochquellwasser 🙂
    Da ich mit Kollegen aus der ganzen Welt zusammen arbeite, werde ich regelmäßig auf bestimmte Dinge, welche wir nicht mehr warnehmen hingewiesen. oft ganz lustig z.B.: Die Rolltreppe: die Stiegen gehen also von ganz alleine nach oben….warum laufen die Leute dann hinauf?; 2.: In den öffentlichen Verkehrsmitteln ist bei euch ja Sprechverbot. 3.: da gibt es also keine Schranken, wenn man in die U-Bahn hinunter geht….und die Leute kaufen trotzdem ein Ticket? 4.: Die Sessel+Tische, Christbäume- vom Verkäufer etc bleiben über nacht einfach draußen und keiner stiehlt sie? Ja so läuft das bei uns. Wenn ich aus einem unsicheren Land zurück komme, genieße ich es unglaublich einfach am Abend eine Runde laufen/spazieren zu gehen ohne Begeleitung und ohne Angst zu haben. Das ist purer Luxus 🙂
    Bis dannimansky!

    1. Hahaha! “In den öffentlichen Verkehrsmitteln ist bei euch ja Sprechverbot”. Der ist echt gut. 🙂 Stimmt, manche Dinge müssen von außen echt sonderbar erscheinen.

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