Die universitäre Bildung heute: Ausrichtung an den Bedürfnissen des Marktes – Kompetenz erlangen – konkurrenzfähig sein. Das sind die neuen Schlagworte. Eine universitäre Ausbildung (Bildung wurde zur Ausbildung) muss man demnach – und dieses Bild wird in der Gesellschaft durchgesetzt, ja ist schon durchgesetzt – möglichst zügig und mit einem klaren Ziel vor Augen abschließen. Am besten mit der konkreten Vorstellung, wo man eingesetzt werden kann – an welchem Ort man einen Arbeitsplatz finden wird. In diesem Sinne erlangt das universitäre Studium seine Legitimation ausschließlich durch den erfolgreichen Eintritt in den Arbeitsmarkt. Was macht das mit einer Gesellschaft?
Ich will davon schreiben, warum ich der Meinung bin, dass jede und jeder so lange studieren sollte, wie sie/er mag. Und nicht nur das, sondern ganz ohne den Druck, dass es „etwas sinnvolles“ sein soll:
Wenn man sich die Gesellschaft als (funktionierendes) System von Interdependenzen (gegenseitigen Abhängigkeiten) versteht, als eine mehr oder weniger gut geölte Maschine, und sich selbst als ein Zahnrad – oder von mir aus Keilriemen/ Kette – darin, dann wird die auf die Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt ausgelegte Universität, ebenfalls zu einem Rad in diesem Getriebe. Es wird Tendenzen (und nehmen wir mal an es gäbe genauso viele positive wie negative) verstärken und weitertragen. Von einem Jahr auf das nächste, aus einer Generation in die nächste.
Soll die Universität diese Aufgabe übernehmen? Und wenn ja, ist es gut, dass sie ausschließlich diese Aufgabe übernimmt?
Die Antwort lautet Nein. Universitäten sollten nicht unhinterfragt Tendenzen aufnehmen und sie verstärken. Genau das ist die Aufgabe der Universität: Sie sollte so weit als möglich außerhalb des Getriebes, der „Maschine“ der Wirtschaft stehen. Möglichst von außen beobachten um halbwegs unabhängig Prognosen und Kritik abgeben zu können. Um zu einer Kritik überhaupt fähig zu sein. Denn wenn es die Universität nicht tut, wer soll es dann tun?
Universitäten sind Orte des Wissens. Sie sind, und sollten es noch viel mehr sein: Orte der Diversität, wo unterschiedliche Auffassungen von der Welt, unterschiedliche Konzepte ausgearbeitet werden und miteinander im Dialog stehen. Universitäten sind Orte, wo Wissen und Bildung weitergetragen werden, einfach weil es notwendig ist Bildung weiter zu tragen. Deshalb sind Universitäten in dieser Funktion geeignet: in der Funktion auf das Treiben zu blicken und es immer wieder zu reflektieren.
Genau in diesem Punkt steckt auch der Kernaspekt, warum sich neoliberale, konservative oder auch autoritäre Regierungen gegen die freien Universitäten stellen; (gleichzeitig ist das auch der Zugang der Schwarz-Blauen Regierung): Sie sehen Kritik als Sand im Getriebe. Sie wollen Kritik möglichst ausmerzen – um gleich das rechte Vokabular zu benutzen. Kritik ist generell unerwünscht und der/diejenige die kritisiert wird erstmal diskreditiert und diffamiert. Deshalb wollen sie die Universitäten zu Institutionen umbilden, die nichts mehr damit zu tun haben, was sie ursprünglich waren – damit sie zur Kritik nicht mehr fähig sind.
Doch Kritik ist wichtig. Kritik bringt uns als Gesellschaft weiter. Nur durch ständige Kritik, ständige Erneuerung, kann sich die Menschheit weiter entwickeln. Und Entwicklung ist nötig. Zum Beispiel eine Entwicklung weg vom individualisierte, narzisstischen, umweltzerstörerischem ICH, zu einer offeneren, inkludierenden Weltsicht. Eine Entwicklung hin zu einer Welt in der noch mehr Menschen ihre Existenz genießen können und nicht jeden Tag darum bangen müssen.
Es sollte unerheblich sein ob man 5, 10 oder 20 Jahre lang studiert. In einer so wohlhabenden Gesellschaft, wie unserer, sollte es möglichst jeder und jedem ermöglicht werden zu studieren um sich zu bilden. Ja, wir sollten darauf stolz sein, dass sich jede/r die/der mag bilden kann. Sich bilden, einfach der Bildung wegen. Bildung ist in jedem Fall ein Gewinn. Unabhängig davon, ob man damit in einer Firma Karriere macht, eine nützliche Erfindung macht, Bücher schreibt, oder diese Bildung einfach für sein persönliches Wohlbefinden aneignet. Ich bin überzeugt, Bildung bringt uns als Gesellschaft weiter.
Ein erster Schritt wäre, auch anderen ein Studium zu gönnen, selbst wenn der unmittelbare Nutzen, der Input, für die Gesellschaft noch nicht absehbar ist. Es wird immer einen Nutzen haben, möglichst viel Hintergrundwissen zu den diversesten Fächern zu akkumulieren, gesellschaftlich – nicht nur vereint in einem einzelnen Individuum. Gerade die so hämisch betrachteten „Orchideenfächer“ (was für ein sinnloser Begriff), wie Philosophie, Geschichte, Anthropologie, Gender Studies und so viele mehr, sind meiner Meinung nach die wichtigsten. Wie kann man sich ohne um die physische und psychische, sowie geistige Entwicklung des Menschen zu wissen, Gedanken um die Zukunft machen?
Wer jetzt sagt, „wenn aber jeder ohne Nutzen studiert, wer soll dann arbeiten und konkret die materiellen Güter fertigen, die wir zum Leben brauchen?“ – man denkt an ArbeiterInnen in Fabriken und Geschäften, and LandwirtInnen and DienstleisterInnen – dem/der kann ich antworten: Ich habe absolut keine Sorge, dass es von diesen Menschen, die lieber etwas konkretes tun, als sich geistig zu beschäftigen, zu wenig geben wird, so wenig, dass wir die Funktion unserer Gesellschaft nicht aufrecht erhalten können. Ganz im Gegenteil. – Und ich verurteile das absolut nicht. Körperliche Tätigkeit und Einsatz kann genauso viel Freude machen und ist genauso gut und notwendig. – Es wird immer einen Großteil der Menschen geben, für die rein philosophische Ansätze oder geistige Tätigkeit nichts ist. Doch warum sollen wir es den anderen nicht ermöglichen, das zu tun, was sie am liebsten machen? Im Grunde basiert diese Politik oder die Haltung von „Jeder sollte etwas Nützliches arbeiten“ auf einem Konkurrenzdenken, einer Politik, die dadurch an Macht gewinnt, dass sie die einen gegen die anderen ausspielt, nicht zuletzt ist das eine Politik, die alle „gleich machen“ will. Eine Politik, die für das Gegenteil von Diversität steht.
Wir müssen uns von der Idee des Mangels verabschieden. Unser Problem, hier in Mitteleuropa, jetzt – ist nicht das von Mangel, sondern das von Überfluss. Wir haben so viel von allem, dass wir unglücklich sind. So viel materiellen Überfluss: Es heißt es werden 30 – 50% der produzierten Lebensmittel vernichtet; die meiste Kleidung wird unter 10 Mal getragen und dann weggeschmissen. Hinzu kommt natürlich sehr wohl das Problem der Ungleichverteilung. Sehr sehr wenige besitzen 90%, während sich der Großteil mit dem kleinen Rest zufrieden geben muss. Wir streiten hier um die Krümel, während sich in Wahrheit die Macht tragenden längst den großen Kuchen gesichert haben. Das ist kein Treten nach oben. Das ist einfach die Realität. Und daher müssen wir von jenen, die viel haben, genauso ihren Beitrag einfordern. Wenn es heißt, freie Bildung könnten wir uns nicht leisten, dann muss man antworten: Warum nicht? Vielleicht deswegen weil große Konzerne und diverse Privatpersonen ihren Gewinn und ihre Vermögen nicht versteuern? Nicht einmal im Rahmen dessen versteuern, der jetzt schon Gesetz ist? Da rede ich noch nicht einmal von zusätzlichen Steuern, sondern die Verfolgung von Steuerflucht.
Geld gibt es wirklich wie „Sand am Meer“. Geld ist in unglaublichem Überfluss da. Man muss sich nur fragen, wo es ist. Und ist es gerecht, dass es dort liegt, wo es liegt? Wie wurde es denn erwirtschaftet, wenn nicht durch die rückenkrümmende Tätigkeit von unzähligen Menschen (davon der Großteil in unprivilegierten Ländern, die wir früher „Dritte Welt“ nannten). Und selbst hier in diesem Land: Wo liegt denn das Geld, das von ganz normalen Menschen, wie du und ich, erwirtschaftet wurde? Warum ist ständig zu wenig Geld da, wo doch die Wirtschaft seit dem Ende des zweiten Weltkriegs fast ununterbrochen stieg und stieg? Glaubt jemand wirklich, wir hätten es „unnötig“ für Bildung ausgegeben? Es ist ganz sicher nicht dorthin geflossen. Dafür braucht man sich nur die Budgetierung des Staatshaushaltes anzuschauen.
Ich bin dafür, dass wir freie Bildung einfordern. Es ist unser RECHT so viel, wie wir wollen und wie wir für nötig halten, zu lernen, zu studieren, uns geistig zu beschäftigen. Und es ist nicht nur unser Recht, es ist auch das Beste für die Gesellschaft, im Endeffekt für alle.