Erstaunlich, wie schnell aus einem „Herzenswunsch“ etwas werden kann, wo man Druck verspürt, es zu erfüllen und damit eine Versagensangst entstehen kann, die wiederum, so glaube ich, kontraproduktiv ist. Denn wahre Freiheit und Kreativität kann, meiner Meinung nach, nur dann stattfinden, wenn es keinen Druck gibt, keine Angst. Dann kann sich Kreativität und Lebensfreude frei entfalten.
Doch als ich auf dem Fahrrad saß und in meinem Kopf entschieden hatte, dass ich die Reise unterbrechen werde, um Rayo nach Wien zu bringen, kamen sofort diese Gefühle und Gedanken: Die Leute werden sagen, ich habe versagt. Ich begann mich ein bisschen schlecht dafür zu fühlen, weil ich eines gesagt hatte und nun anderes machen würde. Allen habe ich erzählt, ich würde mit dem Rad und Anhänger mit Hund durch Europa fahren. Ich würde ein paar Monate weg sein – und nun sollte ich nach ein paar Tagen wieder kommen.
Doch nachdem ich diese Gefühle und Gedanken wahrnahm und zuließ, begann ich zu analysieren, warum es sie gab. Hatte ich mir die Aufgabe nicht selbst gestellt? Hatte ich nicht gesagt, wenn alles schief geht, kann ich noch immer einfach mit dem Zug heimfahren? Warum sollte ich mich jetzt schlecht dafür fühlen?
Wann hat man überhaupt versagt?
Genauso wie „falsch“ oder „richtig“ im Prinzip nur vor einem „Rahmen“ beurteilt werden kann, der grundsätzliche Regeln vorgibt und der eine Beurteilung in „den Regeln nicht entsprechend“ oder „den Regeln entsprechend“ zulässt, so kann auch Versagen nur vor dem Hintergrund beurteilt werden, welches Ziel denn zu erfüllen war und ob dies stattgefunden hat oder nicht.
Wenn das Ziel war, durch Europa in einem Stück durchzufahren mit Anhänger und Hund im Schlepptau, ja, dann habe ich versagt. Doch das war ja gar nicht unbedingt das Ziel. Das Ziel für die kommenden sechs Monate ist, Neues auszuprobieren und Erfahrungen zu sammeln; das Leben tiefer auszukosten und auszureizen. Und wenn man das als Ziel hat, dann habe ich nicht versagt. Ich habe neue Erfahrungen gemacht, ich weiß jetzt, was ich vorher nicht wusste, habe neue Eindrücke gesammelt und werde jetzt, da die sechs Monate noch lange nicht um sind, wieder weitermachen.
Der Rahmen, den ich mir selbst gesetzt habe und setze, lautet: Koste diese sechs Monate voll aus und hol möglichst viel raus, an Leben. Denn das ist das Leben: Eindrücke verarbeiten, Neues lernen. Neues kennen lernen. Verstehen. Nachdenken. Spüren. Im Endeffekt auch Leiden: wenn ich dann wieder auf dem Rad sitze, mein Hintern weh tut und meine Oberschenkeln, mir Sonne oder Regen auf den Kopf schlägt, meine Lungen von einem harten Anstieg ein bisschen brennen – dann ist das auch ein bisschen Leiden. Aber es ist auch Leben.