Entlang des Rheins, oder: Eine Übung im Loslassen

Ich habe schon einmal darüber geschrieben, dass Kilometerzahlen nicht wichtig sind. Dieser Meinung bin ich auch immer noch. Trotzdem mal was zu den Kilometern: Ich habe jetzt fast 800 km am Tacho – 784 um genau zu sein. Meine Tagesetappen liegen inzwischen bei mehr als 70 km und ich könnte locker länger fahren, denn ich bin in den letzten Tagen schon um 3 Uhr Nachmittags mit den 70 km fertig, die ich mir vorgenommen hatte. (Ich muss zugeben, dass es am Rhein die meiste Zeit eben dahingeht, ohne Steigungen. Die einzigen Steigungen, die es gibt, führen auf Brücken, oder davon hinunter, durch Unterführungen unter der Bahn oder unter Straßen.) Und ich muss zugeben, ich bin ein bisschen stolz auf mich. Fast 800 km (am Stück) hätten früher unerreichbar geklungen. 80 km am Tag, ein Ding der äußersten Verausgabung. Heute ist das „normal“.

Ich habe außerdem gemerkt, wie sich einige Dinge für mich verändert haben: Früher dachte ich bei 20 km, „Boah, viel!“, heute denke ich, „Ah, bin gleich da.“ Alles unter 30 km ist quasi fast in der Nähe. Natürlich brauche ich für die 20 km trotzdem über eine Stunde, doch ich bin schon so daran gewöhnt fast den ganzen Tag auf dem Fahrrad zu sitzen, dass eine Stunde nicht mehr viel ist. Ich merke auch unterwegs, dass ich die Fahrt mehr genießen kann. Ich sehe mir die Landschaft an, halte öfter als früher an, um ein Foto zu machen, ich höre langsam auf, mir vorzuwerfen, dass ich zu viele Pausen mache. Ich dachte bisher immer, „ein bis zwei Stunden muss ich schon durchfahren, dass was weitergeht.“ Blödsinn. Es geht auch so sehr viel weiter. Wie gesagt, ich war heute um halb vier am Campingplatz, nach ca. 74 km Fahrt. Ich habe unzählige Male angehalten, um Fotos zu machen, um zu essen, um mein Fahrrad zu checken, weil ich irgendwelche komischen Geräusche hörte, um die Jacke auszuziehen, um sie wieder anzuziehen, um Beeren zu naschen und mit jemanden zu plauschen, usw., usf.

Ich merke jetzt schon, wie viel diese Art von Reisen mit „Loslassen“ zu tun hat. Ein Thema, wofür ich mich schon länger interessiere. So wie ich reise, ohne vorher die Übernachtungen zu reservieren, muss man loslassen, nicht 100 Prozentig genau zu wissen, wo man schlafen wird. (Natürlich schaue ich mir am Tag davor an, wo es Campingplätze gibt). Man muss loslassen, dass das Wetter immer perfekt sein muss. Man muss loslassen, nicht genau zu wissen, was in ein oder zwei Tagen sein wird. Es kann das Wetter so schlecht sein, dass man nicht weiterfahren will. Oder man verbringt irgendwo so eine gute Zeit, dass man länger bleiben will. Oder man ändert die Route. Oder, oder, oder. Generell, Loslassen von fixen Vorstellungen. Nicht immer die Kontrolle haben – das ist eine große Herausforderung. Und ich bin noch lange nicht über all diese Punkte hinweg. Aber ich merke, es wird besser.

Gestern und Heute bin ich den Rhein von Mainz bis Bonn gefahren, von Süden nach Norden. Diese Strecke ist landschaftlich besonders ansprechend und zu Recht UNESCO-Kulturerbe. Links und rechts des Rheins erheben sich sanfte Hügel mit Weinbergen und Wäldern. Fast auf jedem von Ihnen steht ein Schloss oder eine Ruine. Die Orte entlang des Rheins sind fast kitschig hübsch anzusehen. Überall die leicht schiefen Fachwerkhäuser, die mir so gefallen und große Kirchen und Kathedralen.

Ab morgen geht es weg vom Rhein, Richtung Westen, nach Aachen. Dort habe ich über die nette Bekanntschaft aus Nürnberg wahrscheinlich eine private Übernachtungsmöglichkeit.

Unten ein paar Fotos der letzten zwei Tage. Aufgrund des Regens sind die Fotos von gestern leider nicht sehr toll geworden. In Natura waren die Aussichten viel imposanter.

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